Kontrollverlust – Wenn Fremdgeschäftsführer eine eigene Agenda verfolgen

Wenn die aktuelle Gesellschaftergeneration nicht mehr die Fähigkeiten hat, das fremdgeführte Familienunternehmen richtig zu steuern bzw. zu kontrollieren, kann es passieren, dass Fremdgeschäftsführer eine Selbstbedienungsmentalität entwickeln. Wie merkt man das? Wie kann man gegensteuern? Und wie kann ein gut besetzter Beirat Schlimmeres verhindern? Von Sabine Strick

Kontrollverlust

 

„Der Geschäftsführer war so ein Schön-Wetter-Kapitän: Everybody’s Darling. Big Spender. Immer großzügig mit Boni-Zahlungen an alle leitenden Mitarbeiter, vor allem, wenn das Jahresbudget noch nicht ‚aufgebraucht‘ war“, berichtet der Beirat eines großen mittelständischen Familienunternehmens über ein jüngst angenommenes Beiratsmandat.

Und da der Geschäftsführer die vereinbarten Top-Line-Umsätze immer erreicht habe, habe dieser auch standardmäßig zum Jahresende Nachforderungen gestellt und seine Tantieme  nachverhandelt. „Dabei hatte er die langfristige Kostenstruktur der Firma überhaupt nicht im Griff“, berichtet der Beirat.

In den Beiratssitzungen damit konfrontiert, reagierte der Geschäftsführer stets ausweichend. Detailfragen konnte er selten beantworten. Die aktuelle Eigentümergeneration, die das Unternehmen über den Beirat kontrollierte, war zwar betriebswirtschaftlich fit. „In den Sitzungen war der Eigentümer aber nicht in der Lage, seinen Geschäftsführer in die Schranken zu weisen“, berichtet der Beirat: „Der Eigentümer war einfach nicht der Typ, der in die direkte Konfrontation ging.“

Das ist keine Seltenheit und nicht immer liegt es am Fachwissen oder am Durchgriffswillen der Eigentümer. Ein langgedienter Geschäftsführer hat qua Tätigkeit immer einen großen Informationsvorsprung im Hinblick auf die Firma und die jeweiligen Märkte. Er kann diese Informationsasymmetrie relativ leicht zu seinem Vorteil (aus)nutzen.

Das Fass zum Überlaufen brachten dann im geschilderten Fall die Betriebsratsverhandlungen, bei denen der Geschäftsführer „quasi im Vorbeigehen“ die 37,5h-Woche für alle 400 Mitarbeitenden bei gleichem Lohn akzeptierte. „Dem Geschäftsführer fehlte im Moment der Verhandlung jedes Verständnis dafür, wie viele Millionen das die Firma kosten würde“, berichtet der Beirat.

„Da war ein Zirkuspferd in der Führung. Dabei hätte die Firma einen Ackergaul gebraucht“, konstatiert der familienexterne Beirat, der selbst 25 Jahre Führungserfahrung als CEO mittelständischer und großer Familienunternehmen mitbrachte.

Kein Einzelfall bei Familienunternehmen. Vor allem dann, wenn das Einsetzen des ersten familienfremden Geschäftsführers vielleicht noch auf Vertrauensbasis des Senior-Chefs und nach dem Prinzip „Man kennt sich, man schätzt sich“ erfolgte und nicht durch detaillierte Zielvereinbarungen untermauert wurde. Hat die nächste Generation dann wenig unternehmerische Vorkenntnisse und noch weniger Erfahrung in der Rolle des kontrollierenden Eigentümers, kann es schwierig werden.

Eine Eigentümerin und Beiratsvorsitzende eines global agierenden Familienunternehmens berichtet uns von einem ähnlichen Fall: „Unsere Geschäftsführung ist immer sehr großzügig mit Boni, Abfindungen und Gehältern etc., tut sich gleichzeitig schwer, auch mal unpopuläre Entscheidungen zu treffen“, sagt sie. Dass sie auf der Kostenseite mehr Durchgriff erwarte, kommuniziere sie zwar regelmäßig in ihrer Rolle als Beiratsvorsitzende, ändern tue das aber wenig, sagt sie. Fachlich sei das Führungsteam top, aber agiere es auch wie ein Inhaber? Eher nicht.

„Wir sehen einige Fälle, wo es keine Zielkongruenz zwischen den Interessen der Geschäftsführer und denen der Eigentümer gibt“, berichtet Dr. Matthias Händle, mehrfacher Beirat in unterschiedlichen Familienunternehmen. Principal-Agent-Konflikt nennt das die Wissenschaft. Der entsteht immer dann, wenn Eigentum und Gestaltungsmacht nicht mehr bei einer Person (dem/der Unternehmer:in) liegen, sondern zwischen angestelltem Manager und Inhaberfamilie aufgeteilt sind. Beide Parteien haben naturgemäß eine unterschiedliche Motivationslage und Risikosituation. Ziel des Managers ist die meistens eher kurzfristige Maximierung seines persönlichen Gewinns bei gleichzeitiger Minimierung seines persönlichen Risikos des Jobverlusts. Ziel der Inhaberfamilie hingegen ist der oft sehr langfristige bis in die nächste Generation gehende Erhalt und die Wertsteigerung des Unternehmens bei gleichzeitiger Minimierung des Risikos eines Vermögensverlustes. Hinzu kommt, dass ein langjähriger familienexterner CEO in der Regel über einen enormen Informationsvorsprung verfügt. Den kann er im Interesse des Principals einsetzen. Er kann ihn aber auch im eigenen Interesse einsetzen und im Worst-Case damit das Unternehmen nachhaltig schwächen.

So geschehen in einem anderen Familienunternehmen, das viele Jahre von einem Fremdmanager geführt wurde. Auch hier berichtet uns der familienexterne Beirat, dass der Manager – vor allem gegen Ende seiner Karriere – das langfristige Wohlergehen der Firma völlig aus den Augen verlor. Da wurden keine Nachfolger eingearbeitet und keine Mittel- und Langfristpläne mehr gemacht oder umgesetzt. Stattdessen wurden aktuell Erfolge geschönt, um die vereinbarte Tantieme zum Stichtag des Ausscheidens zu maximieren. „Alle seine Entscheidungen zielten auf die Maximierung seines persönlichen Gewinns ab. Das Unternehmen war ihm ‚vollkommen egal‘“, berichtet der familienexterne Beirat über die Ausgangslage, die er bei Mandatsübernahme vorfand. Auch hier war die Inhaberfamilie allein nicht in der Lage, zu verhindern, dass der Fremdgeschäftsführer seine eigene Agenda verfolgte.

Viele Familien sind sich dieser Herausforderung bewusst und handeln entsprechend. In den beiden geschilderten Fällen holten sich die Inhaber erfahrene Geschäftsführer in ihre Beiratsgremien und konnten das Fehlverhalten ihrer Geschäftsführer so korrigieren. Andere setzen noch früher an.

Nach den Prinzipien der Good Governance legen sie im Rahmen einer Inhaberstrategie die Eckpunkte und Leitlinien der Unternehmensführung fest, innerhalb derer das familienexterne Management agieren kann. Dazu gehören Werte und Ziele, eine Definition dessen, wie die Inhaberfamilie ihre soziale und gesellschaftliche Verantwortung versteht, also ihre Haltung zu den großen Themen unserer Zeit: Diversität, Nachhaltigkeit oder Ökologie. Und dazu gehört aber eben auch die Definition der Erwartungen hinsichtlich Dynamik des Wachstums (Umsatz + EBITDA) in einer Mittel- und Langfristplanung, Rendite, Ausschüttung, Investitionsbereitschaft, Verschuldungsbereitschaft und Risikoneigung etc.

Des Weiteren haben Eigentümer natürlich die Möglichkeit, falls es noch keinen Beirat oder Aufsichtsrat gibt, diesen professionell aufzusetzen, die Kontrollaufgabe an dieses neue Gremium zu delegieren und es mit kompetenten Persönlichkeiten zu besetzen. Mit starken unternehmerisch agierenden Persönlichkeiten besetzte Beiräte haben sich in der Praxis als sehr erfolgreich erwiesen, wenn es um die Eindämmung des Opportunismus von Führungskräften geht. Sie bringen qua Vita eine andere Flughöhe mit, wenn es in die Diskussion mit dem Management geht, als nicht operativ tätige Eigentümer. Akzeptanz und Augenhöhe werden schneller hergestellt.

„Kompetent“ heißt in diesem Fall, dass die Personen nicht nur Markt-/Produkt-/Technologiewissen mitbringen sollten, sondern vor allem auch in der Lage sein müssen, ein geeignetes Kontroll- und Anreizsystem einzurichten. Mindestens eine Person sollte langjährige Geschäftsführungsverantwortung in einem vergleichbaren Unternehmen vorweisen können und vor allem nachgewiesene Erfahrung bei der Incentivierung und Kontrolle von familienexternen Managementteams mitbringen.

Dabei ist die richtige Incentivierung kein Hexenwerk, muss aber eben genau an die jeweiligen Ziele angepasst werden. Es gibt verschiedene Möglichkeiten der Gestaltung, wie z.B. an das Erreichen bestimmter Ziele in der Unternehmensplanung geknüpfte Tantieme, direkte oder indirekte Eigenkapitalbeteiligungen, virtuelle Beteiligungen oder stille Beteiligungen. Jedes Instrument hat andere Vor- und Nachteile mit Blick auf langfristige Bindung, Anpassungsfähig, Einfachheit der Handhabung, Individualisierbarkeit, Rückabwickelbarkeit, Steuerungswirkung, Stimmrechtsgestaltung oder auch Kosten. Diese gilt es abzuwägen.

„Die richtige Incentivierung ist in vielen Fällen der Schlüssel zum Erfolg, wird aber viel zu selten gut gemacht. Wir hören sehr häufig, dass Familienunternehmen unternehmerische Führungskräfte suchen, dann aber keinerlei langfristige Anreize bieten“, erklärt Dr. Matthias Händle. In Deutschland werden Topmanager in Familienunternehmen immer noch vorwiegend fix vergütet. Zudem ist der variable Anteil meist eher kurzfristig gedacht, weil er an Jahresziele gekoppelt ist. Zu selten ist die variable Vergütung long term, also jahresübergreifend strukturiert.

Dr. Matthias Händle schwört auf einfache, aber gut strukturierte jahresübergreifende Long Term Incentives (LTI) als wichtiges Bindungselement für die Fremdgeschäftsführer, das gleichzeitig die Interessenlage des Fremdmanagements in Einklang mit der Inhaberstrategie bringt.

Voraussetzung hierfür sind eine klare und eindeutige Inhaberstrategie, ein aussagekräftiges Reporting, Branchen- und unternehmensspezifische KPIs, ein gemeinsames Verständnis der Wirkungsweisen der Einflussfaktoren, regelmäßige Abstimmungen zwischen Eigentümern, Aufsichtsrat/Beirat und Geschäftsführung und mindestens jährliche Zielsetzungsgespräche mit der Geschäftsführung, in der quantitative und qualitative Ziele gemeinsam gesetzt und nachvollzogen werden.

Um einen Unternehmenswert zu ermitteln, der als Grundlage für die LTI-Festsetzung gilt, kann man laut Händle gut auf vereinfachte, leicht handhabbare Verfahren zurückgreifen. „Wichtig ist, dass das Verfahren über die Laufzeit konstant bleibt und dass es die jeweilige Branche und die Zielsetzung der Gesellschafter berücksichtigt“, erklärt er.

Auch im eingangs geschilderten Falls des Schönwetter-Kapitäns haben die neuen externen Beiratsmitglieder, die viel Erfahrung bei der Incentivierung von Managementteams hatten, letztendlich durchgegriffen: „Wir haben als Beirat unsere Erwartungen viel klarer artikuliert, als das früher der Eigentümer gemacht hat. Außerdem haben wir das Vergütungspaket des Geschäftsführers angepasst und ihm u.a. eine a-typische Stille Beteiligung angeboten, so dass die Long-term-Interessen aligned waren.“

Die geschilderten Fälle vom Fehlverhalten des Managements sind in der Praxis glücklicherweise eher die Ausnahme als die Regel. Wir sehen viele Familienunternehmen, die von familienexternen Managern aus tiefer Überzeugung und innerem Antrieb nach Art eines echten Unternehmers geführt werden, weil sie schlicht wie Unternehmer denken, fühlen und handeln. Die Liste unternehmerisch agierender „Manager“, die die ihnen anvertrauten Familienunternehmen im besten Sinne der Stewardship-Theorie mit großem Verantwortungsbewusstsein und ehrgeizigen sozialen, ethischen und ökologischen Zielen führen, ist lang.

Solche Fremdgeschäftsführer sind für jede Inhaberfamilie ein Glücksgriff! Mindestens in allen anderen ist die Familie gut beraten, eine Inhaberstrategie zu erarbeiten und ein Kontrollgremium zu konzipieren und zu besetzen, das in der Lage ist, die Geschäftsführung zu beraten, aber eben auch zu kontrollieren!

Bei Interesse am Thema Inhaberstrategie, professionelle Aufsichtsgremien, Beiratsbesetzung oder Long Term Incentives für externe Führungskräfte in Familienunternehmen kontaktieren Sie uns gerne (info@petermay-fbA.com).